Rechtsextreme Geschichtsbilder

Muslimfeindliche Umdeutungen: Reconquista, Kreuzzüge und die Türken vor Wien

Ein viel genutztes Geschichtsbild ist das des historischen Konflikts zwischen „christlichem Abendland“ und „dem Islam“. Es ist ein konstantes Narrativ rechtsextremer Propaganda, hat allerdings seit der zunehmenden Fluchtmigration 2015 stark an zusätzlicher Relevanz gewonnen. Die tatsächlich wechselvolle und alles andere als gradlinige Geschichte vom Verhältnis der beiden Religionen und ihrer Einflusssphären wird mit ihm auf ein simples Feindverhältnis reduziert. So wird ein unversöhnlicher Gegensatz konstruiert, in welchem „der Islam“ als schon immer existenziell bedrohlich für das „christliche Abendland“ gilt.

In der Konsequenz dieser Deutung wird z.B. von neurechten Akteuren eine neue „Reconquista“ beschworen bzw. dazu aufgerufen. Das Schlagwort, wörtlich „Rückeroberung“, bezieht sich auf die Ausdehnung der christlichen Machtbereiche unter Zurückdrängung der muslimischen Vorherrschaft auf der iberischen Halbinsel vom 8. bis hinein ins 15. Jahrhundert. Auch die Kreuzzüge und insbesondere die beteiligten Ritterorden, in deren Tradition sich Rechtsextreme wähnen, werden als historische Vorbilder in Rhetorik oder Bildmotivik genutzt. Gleiches gilt für die sogenannten „Türkenkriege“ und das Zurückschlagen der Truppen des Osmanischen Reichs vor Wien – auch sie sind wiederkehrende Bezugspunkte rechtsextremer Propaganda.

Mit ihnen konstruieren Rechtsextreme Parallelen zu heutigen Entwicklungen sowie einen Handlungsauftrag. Muslimfeindliche Narrative von einer angeblich drohenden oder sogar bereits stattfindenden „Islamisierung“ des Westens oder der „Umvolkung“ werden damit in eine vermeintliche historische Kontinuität gestellt und in die erfundene oder ideologisch verzerrte Tradition eines Abwehrkampfes gegen „den Islam“.  Auf diese Weise werden heutige Formen von Flucht und Migration mit militärischen Feldzügen und Eroberungskriegen vergangener Zeiten gleichgesetzt. Nicht zuletzt für junge Menschen bietet eine solche historische Umdeutung eine einfache Erklärung für gegenwärtige gesellschaftliche Veränderungen und Herausforderungen.

Solche Deutungsrahmen sind nicht nur Bestandteil politischer Stimmungsmache und rassistischer Hetze. Sie dienen auch zur Rechtfertigung terroristischer Gewalt. So sah sich der Attentäter von Oslo und Utøya 2011 laut seines online veröffentlichten „Manifests“ als moderner Tempelritter und nahm Bezug auf die Schlacht am Kahlenberg 1683, die die Zweite Wiener Türkenbelagerung beendete. Diese Datumszahl fand sich neben weiteren historischen Verweisen auch aufgemalt auf den Waffen jenes Attentäters, der in Christchurch 2019 zwei Moscheen stürmte und 51 Menschen tötete. Bilder oder Nachzeichnungen der Waffen inklusive der Beschriftungen sind nach wie vor Material rechtsextremer Memes. Derartige Geschichtsanspielungen in Form von Schlagworten oder numerischen „Codes“ finden sich darüber hinaus in rechtsextremen Online-Kreisen häufig, z.B. in geteilten Bildern oder in Profilnamen, mit denen Rechtsextreme Zugehörigkeit demonstrieren.