Rechtsextreme Geschichtsbilder

Tradition statt „Kulturmarxismus“: Die 1950er und das Schreckgespenst 68er

Das Deutschland der Nachkriegszeit wird von Rechtsextremen sehr zwiespältig betrachtet. So finden sich regelmäßig zum 8. Mai, dem Jahrestag der Kapitulation Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, Posts und Bilder, welche diesen Tag vor allem als einen der Niederlage und Beginn des Niedergangs Deutschlands erklären. Zugleich finden sich immer wieder positive Bezugnahmen auf den Mythos der „Trümmerfrauen“ sowie auf den raschen Wiederaufbau, was wiederum den Fokus auf die Erfolgsgeschichte Deutschland legt und Nationalstolz ausdrückt bzw. befeuern soll.

Nachkriegsdeutschland und insbesondere die 1950er und beginnenden 1960er Jahre gelten im rechtsextremen kulturellen und sozialen Geschichtsbild dieser Zeit gewissermaßen als Sehnsuchtsorte: Die Jahre des Wirtschaftswunders werden als geprägt von traditionellen Rollenbildern und Familienverhältnissen gesehen. Während der Mann als Ernährer der Familie fungiert, kümmert sich die Ehefrau um Heim, Kinder und die Bedürfnisse ihres Gatten. Rechtsextreme Akteure sehen hierin das vermeintlich natürliche Geschlechterverhältnis und propagieren entsprechend solcher Lebensgestaltungen den „echten Mann“ und die „Tradwife“ (Klappwort aus „traditional“ und „wife“). Der positive Bezug auf die Geschlechterverhältnisse der 1950er Jahre ist für Rechtsextreme ein Akt des Widerstandes gegen den verhassten, als widernatürlich geschmähten Feminismus, nicht-binäre Geschlechteridentitäten und moderne Formen von und Perspektiven auf Familie und Sexualität. Sie transportieren dies via Social Media z.B. mit entsprechenden Bildern aus der Werbung jener Zeit, die für sie eine authentische „heile Welt“ repräsentieren und die sie gegen heutige, pluralistisch geprägte gesellschaftliche Entwicklungen ins Feld führen.

Diese soziokulturellen Entwicklungen sind für viele Rechtsextreme direkte programmatische Folge der 1968er-Generation und ihrer angeblichen Dominanz im heutigen öffentlichen Diskurs. Die 1960er-Zeit steht im rechtsextremen Geschichtsbild für den Beginn eines gesamtgesellschaftlichen Verfalls. Das historische Feindbild „68er“ findet sich dementsprechend häufig in der rechtsextremen Onlinepropaganda. Angeblich bestünden die heutigen Eliten in Politik, Medien und Kultur aus eben jener Generation oder sei von ihr nachhaltig beeinflusst. Mit ihrem „Kulturmarxismus“ würde sie an einem fundamentalen schädlichen Umbau der Gesellschaft arbeiten, gegen den es sich mithilfe eines „Kulturkampfs von rechts“ zur Wehr zu setzen gelte.

Die Konfrontation mit althergebrachten Geschlechter- und Rollenvorstellungen sowie die Überhöhung entsprechender historischer Vorbilder muss für Kinder und Jugendliche nicht notwendigerweise eine Gefahr für ihre Entwicklung hin zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten darstellen. Werden jedoch diese Vorstellungen normativ gesetzt und abweichende Lebensweisen oder Identitäten (und folglich damit identifizierte Menschen) als „unnatürlich“ oder „schädlich“ abgewertet oder gar aktiv bekämpft, können sich hieraus insbesondere für junge Menschen, die dabei sind, die eigene Sexualität auszubilden und ihre Position angesichts von Familien- und Geschlechterrollen bzw. -normen erst zu finden, negative Beeinträchtigungen und Gefährdungen ergeben. Dies umso mehr, wenn Kinder und Jugendliche sich als minderwertig ausgeschlossen fühlen oder sogar Ziel von Attacken werden, weil sie selbst sich nicht klar als „Mädchen“ oder „Junge“ gemäß traditioneller Zuschreibungen empfinden oder nicht in vermeintlich „ordentlichen“ Vater-Mutter-Kind-Familienverhältnissen leben.