Rechtsextreme [&] Gaming-Kulturen

Safe Space Invaders: Eintrittspunkte rechtsextremer Ideologie in die Spielekultur

 

Computerspiele sind populär. Es ist schon fast müßig geworden, auf die entsprechenden Zahlen hinzuweisen. Laut dem Branchenverband „game“ spielen allein in Deutschland rund 35,4 Millionen Menschen mindestens gelegentlich Computerspiele – über Altersgrenzen hinweg und weitgehend unabhängig vom Geschlecht. Wie schon bei der Aneignung von populärer Hip-Hop-Musik oder einflussreicher Social-Media-Plattformen wie Instagram ist es also nicht verwunderlich, dass rechtsextreme Akteure und Verbände zunehmend auch die Spielkultur als Handlungsfeld ihres vorpolitischen Kampfes um kulturellen Einfluss sehen.

So redet Philip Stein, Betreiber des vom Verfassungsschutz beobachteten Vereins „Ein Prozent“ auf der Videoplattform YouTube davon, dass Computerspiele „der nächste logische Schritt in unserer Strategie der Gegenkultur“ seien. Martin Sellner, Sprecher der rechtsextremen Identitären Bewegung (IB) in Österreich und Roland Moritz, Spielentwickler und Kader der IB, sprechen in einem Interview auf dem Videoportal BitChute von einem „riesigen Markt“, mit dem sich „extrem viele junge Leute“ und „vor allem junge Männer“ politisch erreichen und aktivieren lassen. Rechte Space Invaders, bereit zum Angriff.

Normalisierung, Akklimatisation, Entmenschlichung

Verabschieden muss man sich jedoch von zu simplen Vorstellungen über die rechtsextreme Unterwanderung der Spielekultur. Weder führt ein kausaler Zusammenhang vom bloßen Spielen eines Computerspiels zu einer extremistischen oder vielleicht sogar gewaltbereiten Gesinnung, noch handelt es sich bei Gaming-Communitys um homogene, isolierte Sozialphänomene. Vielmehr sind Games und ihre Gemeinschaften überaus vielfältig aufgestellt und auf unterschiedlichste Weise mit dem Rest der Gesellschaft und insbesondere der Pop- und Netzkultur verknüpft. In der Breite droht der sogenannten „Gamer-Szene“ keine Gefahr.

Verfangen kann rechtsextreme Ideologie in der Spielekultur vor allem dort, wo User:innen auf der Suche nach Identitätsangeboten sind oder sich maßgeblich über Gaming definieren, wo Wettkampfleistung allein für Anerkennung sorgt, wo Rollenzuschreibungen und regressive Weltbilder unhinterfragt bleiben und wo aus missverstandener Neutralität selbst menschenverachtende Inhalte geduldet werden. Diese Bedingungen existieren gebündelt meist nur in kleinen Subkulturen – dem meist männlich geprägten „harten Kern“ – der übergeordneten Spielekultur. Hier finden rechtsextreme Akteure oft gute Startbedingungen.

Die sogenannte „Neue Rechte“ legt in vielen Publikationen und Äußerungen offen, dass sie eine geduldige Verschiebung im vorpolitischen Diskursraum nach rechts anstrebt. Im Netz manifestiert sich diese „Metapolitik“ etwa in Form der sogenannten „Alt-right pipeline“, wie sie von Forschern und Betroffenen beschrieben wird. In Gaming-Communitys wird in ähnlicher Weise rechtsextreme Ideologie und Symbolik zunächst normalisiert, Spielende in der Folge an radikale Communitys wie etwa „4chan“ akklimatisiert sowie schließlich eine Entmenschlichung politischer Feindbilder zumindest vorbereitet. Die Spielekultur zeigt sich bislang noch eher anfällig für solche sowohl direkten wie indirekten Bestrebungen der Radikalisierung.

Boy Culture vs. Girl Culture

Die Gründe für diese Anfälligkeit sind vielfältig, sowohl inhaltlicher als auch struktureller Natur und bilden eher historisch gewachsene, nicht jedoch zwingend dem Computerspiel wesentliche Eigenschaften ab. Ebenso handelt es sich nicht um Charakteristika, die sich per se dem Rechtsextremismus zuordnen lassen. Eher geht es um solche, die eine hohe Anschlussfähigkeit an rechtsextreme und faschistische Ideologien und Positionen erlauben. Zu den in diesem Kontext zuletzt am häufigsten diskutierten Problemfeldern der Spielekultur gehört ihr langsam schwindender Status als exklusive „Boy Culture“ – einer Kultur, die maßgeblich auf die vermeintlichen Bedürfnisse junger Männer ausgerichtet ist.

Für viele Jahre galten Games als Spielzeug und wurden der damit verknüpften Geschlechtertrennung unterworfen: Jungen spielen Held, Mädchen spielen Mutter. Eine durch gezieltes Marketing forcierte Trennung, deren aktuelle Rudimente wachsender Kritik ausgesetzt sind und spürbar aufgebrochen werden. Doch gerade diese progressive Verschiebung der Spielekultur hat – zum Beispiel in Form der #GamerGate-Bewegung – einen reaktionären Backlash meist männlicher Gamer ausgelöst, der von rechtskonservativen bis rechtsextremen Akteuren vereinnahmt werden kann. Beide Gruppen verbinden ihre veralteten Geschlechterbilder und rechte Kommunikationsstrategien zielen immer wieder darauf ab, die männliche Exklusivität von Games, Comics und Co. zu legitimieren.

Toxische Meritokratie

Scheinobjektiviert wird diese Marginalisierung von Frauen und anderen Gruppen, die nicht als „harter Kern“ gelten, in der Regel durch die Behauptung mangelnder Leistungsfähigkeit. Aus der statistisch durchaus noch validen Tatsache, dass Frauen eher sogenannte„ Casual Games“ statt „Hardcore Games“ spielen, wird eine männliche, auf Spielleistung begründete Deutungshoheit über die Spielkultur abgeleitet. Wo sich Frauen dennoch leistungsfähig zeigen, sind sie Sabotage durch verbale Attacken und die Androhung physischer Gewalt ausgesetzt. Auch diese frauenfeindlichen Exklusionsversuche finden ihr anschlussfähiges Ebenbild im inhärenten Antifeminismus von rechts außen.

Weiterhin vermessen und vergleichen populäre Games bis heute ihre Spielenden scheinbar objektiv und bilden so die frauenfeindliche Grundlage für toxische Communitys, wie der Rhetorikforscher Christopher A. Paul beschreibt. Ohne hinreichende Moderation und eine gelebte Kultur der Wertschätzung etabliert sich ein Vorrecht der Stärkeren und vermeintliche Schwäche wird offen verachtet sowie sanktioniert. Vorstellungen soldatischer Männlichkeit faschistischer Akteure verfangen hier, wie unter anderem der Blick auf #GamerGate-Propaganda zeigt. Widerstand gegen die „Verweichlichung“ der Spielekultur wird verschwörungsideologisch mit rechtsextremen Erzählungen eines notwendigen Kampfes gegen die „kulturmarxistische“ Zersetzung westlicher, weißer Gesellschaften verknüpft. Beispielhaft ist hierfür unter anderem die mittlerweile aufgelöste, rechtsextreme „Vereinigung von Gamern“ Reconquista Germanica, die mit gezielten und „gamifizierten“ Troll-Kampagnen die öffentliche Meinung in den Sozialen Medien beeinflussen wollte.

(Miss-)Repräsentation

In rechtskonservativer bis rechtsextremer Ideologie verankerte Feind- und Selbstbilder zeigen sich auch auf Ebene der audiovisuellen Repräsentation von Computerspielen. Da Games meist schnelle Reaktionen und eindeutiges, logisches Agieren erfordern, sind darstellerische Stereotype weitgehender Game-Design-Standard. Feinde müssen schnell erkannt werden können und kausale Zusammenhänge möglichst unmissverständlich sein. Dabei basieren diese stereotypen Darstellungen meist auf etablierten, realweltlichen Ressentiments. Männer sind aktive, muskulöse Helden. Frauen sind passive, hilflose Prinzessinnen. Der Feind sieht fremd aus und spricht eine fremde Sprache.

Auch wenn diese Allgemeinplätze in der Spielekultur zunehmend hinterfragt und gebrochen werden, bieten sie bis heute diskursive Anlässe für metapolitische Bestrebungen von Rechts. An Fragen nach der Präsenz schwarzer Menschen in Fantasy- und Mittelalter-Games oder der aktiven Rolle von Frauen in zwei Weltkriegen entzündet sich regelmäßig rechte Identitätspolitik, die widerspruchsfreie und vermeintlich authentische Geschichts- und Geschlechterbilder fordert. Dass es gerade in Computerspielen mit Setting im Zweiten Weltkrieg oft erhebliche erinnerungskulturelle Lücken gibt – etwa das Aussparen des Holocaust –, erleichtert Rechtsextremen zusätzlich ihre gezielte Selbstverharmlosung. Wenn die Nationalsozialisten in Strategiespielen lediglich die Fraktion sind, „die zwar niemand mag, die aber die schicksten Uniformen und die besten Panzer hat“, wie der offen antifaschistische Spieleentwickler Jörg Friedrich beschreibt, haben moderne Nazis leichtes Spiel bei der Geschichtsklitterung in Gaming-Foren.

Falsche Neutralität

Alle aufgezeigten Defizite der Spielekultur wären bereits durch eine klare politische Positionierung aller ihrer Teilnehmenden maßgeblich zu kompensieren. Dem steht allerdings eine nach wie vor ausgeprägte Selbsttrivialisierung und politische Neutralitätsbehauptung entgegen. Als „Spiele“ werden Games gerade von ihren Nutzer:innen meist als „nicht ernst“ verstanden und eine politische Dimension damit kategorisch abgestritten. Entwicklerstudios distanzieren sich in ähnlicher Weise selbst von offensichtlichsten Bezugnahmen auf politische Themen und Ereignisse. Populäre Distributionsplattformen wie Steam veröffentlichen derweil im Namen der politischen Neutralität so gut wie alles, was nicht gegen willkürlich definierte Ausschlusskriterien verstößt.

Diese Schutzbehauptungen lassen sich im Lichte der Tatsache, dass Computerspiele über viele Jahre hinweg von tatsächlichen Zensurbestrebungen und medialer Missrepräsentation betroffen waren, durchaus nachvollziehen. Sie ermöglichen jedoch aktuell rechten Akteuren die wirksame Inszenierung als Verteidiger eines unernsten und unpolitischen Status Quo. Gleichzeitig erscheint in diesem Kontext das langsame Aufschließen der Spielekultur an die Werte einer offenen, diversen und demokratischen Gesellschaft als massive politische Verschiebung nach links. Erst vor diesem Hintergrund kann sich etwa die rechtsextreme Identitäre Bewegung oder der vom Verfassungsschutz beobachtete Verein „Ein Prozent“ als „gegenkulturelle“ Alternative zu einem vermeintlich homogenen, linken Mainstream im Gaming positionieren.

#KeinenPixelDenFaschisten

Es ist also ein umfassender Gesinnungswechsel in der spielenden Zivilgesellschaft notwendig. Die Marginalisierung von Spielergruppen in Gaming-Communitys darf nicht weiter geduldet oder durch spielkulturell überholte Leistungsideologien gerechtfertigt werden. Dazu gehört konsequentes Moderieren von Foren, Gruppen und Chats ebenso wie das Etablieren einer inklusiven, wertschätzenden und unterstützenden Community-Kultur. Gleichzeitig müssen die progressiven Verschiebungen innerhalb der Spielekultur als normale Gesellschaftsprozesse sowie Games als politische Gegenstände verstanden werden. Das schließt eine möglichst große Bandbreite an audiovisuellen, narrativen und spielmechanischen Repräsentationsmustern ein, die keine schwerwiegenden Lücken lassen und verantwortungsbewusster mi Stereo­­typen und Zuschreibungen umgehen. Die Zeit für politische Neutralität ist vorbei.

Gleichzeitig braucht es starke, antifaschistische Netzwerke innerhalb der Spielekultur, die rechtsextreme Akteure beobachten, ihre Codes entschlüsseln und vermitteln, öffentliche Sichtbarkeit herstellen und so auch die Gaming-Branche an ihre Verantwortung für eine freiheitlich-demokratische Zivilgesellschaft erinnern. #KeinenPixelDenFaschisten leistet hier bereits wichtige Pionierarbeit. Computerspiele befinden sich in stetiger Fortentwicklung und es liegt an uns allen, ob sie als Kulturform wachsen und sich möglichst vielen Menschen öffnen oder von einer lauten, antidemokratischen Minderheit instrumentalisiert und ausgebremst werden. Die Spielekultur muss gegen die Space Invaders von rechts außen gewappnet sein.

Christian Huberts, 16.03.2021

Zur Person

Christian Huberts, Jahrgang 1982, studierte „Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis“ an der Universität Hildesheim und arbeitet seit 2009 als kultur- und medienwissenschaftlicher Publizist mit Sitz in Berlin. Sein inhaltlicher Fokus ist die digitale Spielkultur in allen Facetten. Zurzeit ist er Redakteur und Autor für das Spielkultur-Bookazine WASD, kuratiert Texte auf dem News-Aggregator piqd.de und tritt regelmäßig als Experte für digitale Spiele bei Kulturveranstaltungen sowie im Rundfunk und Fernsehen auf. Zuletzt unterstützte er als Associate Producer das Berliner Studio waza! Games bei der Entwicklung der politischen Bildungs-App Konterbunt. Für die Stiftung Digitale Spielekulturarbeitet er als Projektmanager für den Pitch Jam: Memory Culture with Games und die Initiative Erinnern mit Games. Daneben schreibt er für wissenschaftliche Publikationen, Kulturmagazine sowie Online-Zeitungen diverse Artikel über die Partizipation an virtuellen Welten und die Kultur von Computerspielen.