Geschichtsbilder in rechtsextremer Onlinepropaganda
Ob alte Germanen, mittelalterliche Kreuzzüge oder historischer Nationalsozialismus: Geschichtliche Bezugspunkte sowie Eigeninterpretationen der Vergangenheit sind Kernelemente rechtsextremer Weltanschauung und Propaganda. Kinder und Jugendliche, für die historische (Selbst-)Verortungen wichtiger Teil ihrer Identitätsentwicklung sind, kommen heutzutage damit auch vielfach online in Berührung. Dabei können sie leicht an rechtsextreme Umdeutungen gelangen, über welche mit geschichtlichen Bezügen auch aktuelle Fragestellungen ideologisch eingeordnet werden und die nicht selten rassistische, demokratiefeindliche und verschwörungsmythische Thesen beinhalten. Solche Geschichtsbilder finden sich überall im Netz, bspw. in Kommentaren, Memes, Computerspielen oder auf ganzen Themen-Websites.
Geschichte wird gezielt für rechtsextreme Propaganda instrumentalisiert
Geschichtsbewusstsein ist für Kinder und Jugendliche hinsichtlich der individuellen Entwicklung einer eigenen Identität wichtig. Das betrifft die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie, aber auch die mit der kollektiven Historie der jeweiligen Bezugsgruppe(n). Entsprechend spielen Geschichtsbilder, die das Geschichtsbewusstsein prägen, eine zentrale Rolle, wenn es um Fragen von Herkunft, Zugehörigkeit, Vorbildern, aber auch von Abgrenzung geht.
Historisches Wissen wird jungen Menschen vor allem in der Familie oder in der Schule vermittelt. Doch auch das Internet spielt mittlerweile eine wichtige Rolle was Darstellung und Deutung historischer Ereignisse und Zusammenhänge betrifft. Kinder und Jugendliche kommen mit Geschichtsbildern online auf unterschiedliche Weise in Berührung; so bspw., wenn sie auf YouTube für den Geschichtsunterricht recherchieren oder sich über historische Hintergründe zu aktuellen Nachrichtenlagen informieren. Historische Bezugnahmen begegnen ihnen aber auch beiläufig, in Chats, Memes oder Videoclips.
Allerdings hält das Netz nicht nur vertrauenswürdige Quellen und altersgerechte Angebote bereit. Ob in der gezielten Suche nach Wissen oder aber beim Surfen nebenbei: Junge Menschen stoßen leicht auf rechtsextreme Inhalte, die ein eigenes historisches Weltbild zum Ausdruck bringen oder propagieren. Überlegenheitsdenken, Ausgrenzungen und Menschenfeindlichkeit werden hier historisch begründet und gerechtfertigt, indem sich auf bestimmte Vorstellungen und (Um)Deutungen geschichtlicher Epochen bezogen wird.
Attraktivität und Gefahren rechtsextremer Geschichtsbilder für Kinder und Jugendliche

Als eine Art stereotype Narrative über die Vergangenheit sind Geschichtsbilder relativ starr und emotional stark aufgeladen. Sie blenden Widersprüchliches aus, können sinngebend wirken und Orientierung bieten, nicht nur rückblickend. Sie ordnen Gegenwart und Zukunft in einen kontinuierlichen, zeitlichen Fortgang ein und verorten das eigene Handeln wie politische Entwicklungen in der Historie.
Rechtsextreme Weltanschauungen fußen auf spezifischen Interpretationen von Geschichte und somit auf bestimmten Geschichtsbildern. Sie weisen Anhänger:innen rechtsextremer Ideologien einen Platz in einem historischen Verlaufsprozess zu. Durch die Berufung auf bestimmte Traditionen und sich daraus ableitenden Handlungsmaximen für Gegenwart und Zukunft gewinnen rechtsextreme Weltanschauungen Stabilität und Anziehungskraft: Klar und überzeitlich wird u.a. zwischen Gut und Böse sowie Eigen- und Fremdgruppen unterschieden. Auf diese Weise begründen solche Geschichtsbilder auch Ungleichwertigkeitsideologien und rechtfertigen beispielsweise Rassismus bis hin zur Gewaltgewaltanwendung.
Diese Einordnungs- und Bewertungsleistung von Geschichtsbildern ist besonders für Menschen attraktiv, die solche klaren Einteilungen suchen bzw. Komplexität und Ambivalenzen schlecht ertragen können – oder die, wie Kinder- und Jugendliche, entsprechende Kompetenzen gerade noch ausbilden und einüben. Vor allem in der Phase der Identitätssuche besteht die Attraktivität rechtsextremer Geschichtsbilder darin, die Welt eingängig zu erklären, vermeintliche Gesetzmäßigkeiten aufzuzeigen, historische Vorbilder bereit zu stellen und moralische Orientierung zu versprechen.
Rechtsextreme Propaganda konstruiert und präsentiert ihre Geschichtsbilder auf unterschiedliche Art und in verschiedenen medialen Formaten – auch in solchen, die gerade bei Jüngeren beliebt sind. So gibt es trockene theoretisch-ideologische Blogeinträge, PDF-Pamphlete oder ganze Websites, die sich alleine mit der (Um-)Deutung historischer Ereignisse befassen. Daneben finden sie sich jedoch auch als Bildmotive, in Memes und Sharepics, in attraktiv gestalteten Mobilisierungs- oder Aktionsvideos oder in rechtsextremen Rap-Songs wieder. Die historischen Bezugspunkte sind dabei vielfältig und knüpfen an die Germanen der Antike bis hin zur Wendezeit 1989/1990 und die jüngste Zeitgeschichte an. Die rechtsextreme Erlebniswelt im Netz hält so ein breites Informations- und Identifikationsangebot bereit, das verschiedene historische Epochen und Arten von Geschichte bzw. Historisierungen (z.B. Weltgeschichte oder Alltagskulturgeschichte) umfasst.
Vertiefende Analysen rechtsextremer Geschichtsbilder im Schwerpunkt auf hass-im-netz.info:
Unerschrockene Kämpfer als Vorbilder: Die Welt der Germanen und Wikinger
Muslimfeindliche Umdeutungen: Reconquista, Kreuzzüge und die Türken vor Wien
Wurzeln, Glanz und Gloria: Romantik und antidemokratische Stimmungsmache
Kampf gegen die Republik: Zwischen intellektuellen Idolen und Gewaltfantasien
Der Nationalsozialismus: Positive Bezugnahme, Relativierung und Opferinszenierung
Tradition statt „Kulturmarxismus“: Die 1950er und das Schreckgespenst 68er
Die BRD als „DDR 2.0“: Delegitimierung der Demokratie und Aufrufe zum Umsturz
Jugendmedienschutzverstöße im Kontext rechtsextremer Geschichtsbilder

Im Zusammenhang mit rechtsextremen Geschichtsbildern online lassen sich regelmäßig eine Vielzahl an Verstößen gegen den Jugendmedienschutz feststellen. Alleine im Jahr 2020 sowie im ersten Halbjahr 2021 registrierte jugendschutz.net 717 Verstoßfälle, die Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zum Inhalt hatten. Wenngleich hierbei auch vereinzelt Kennzeichen solcher Organisationen drunter fallen, die jüngeren Datums sind, handelte es sich weit überwiegend um Insignien, Parolen oder Lieder des historischen Nationalsozialismus. Daneben ist ein häufig dokumentierter Verstoß gegen den Jugendmedienschutz die Relativierung oder Leugnung des Holocausts (68 Fälle).
Während die meisten großen Social-Media-Dienste die Verbreitung entsprechender Inhalte untersagen und auch proaktiv gegen Verstöße vorgehen, zeigen sich weiterhin Defizite: Mit Blick auf verbotene Kennzeichen und Holocaust-Leugnungen wurden lediglich rund 60 % der Verstoßfälle nach einer Meldung als User:in entfernt. Im direkten Kontakt durch jugendschutz.net erhöhte sich die Löschquote auf knapp 90 %. Noch größere Problemlagen werden in Hinblick auf sogenannte Ausweichplattformen wie Telegram, ein bei Rechtsextremen derzeit äußerst beliebter Dienst, deutlich: Hier wurden im o.g. Zeitraum lediglich knapp 28 % entsprechender Verstoßfälle gelöscht, auch nach direktem Kontakt durch jugendschutz.net.
Abseits der Fälle, die sich direkt auf den Nationalsozialismus beziehen, bleiben rechtsextreme Propagandainhalte im Netz, welche historische Bezugspunkte aufweisen, meist unterhalb der Schwelle zum Verstoß gegen Jugendmedienschutzbestimmungen. Dennoch können diese geeignet sein, Kindern und Jugendlichen ein eindimensionales Verständnis von Geschichte zu vermitteln sowie mit ihren Umdeutungen die Werte einer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft zu untergraben.
Konsequent gegen Verstöße vorgehen, historisch-politische Bildung stärken
Um rechtsextremen Geschichtsumdeutungen wirksam zu begegnen, bedarf es einer mehrdimensionalen Gegenstrategie. Verstöße gegen den Jugendmedienschutz im Kontext rechtsextremer Geschichtsbilder müssen einerseits konsequent und nachhaltig verfolgt sowie entsprechende Inhalte von den verantwortlichen Social-Media-Diensten entfernt werden. Andererseits bedarf es, um dem hohen Interesse junger Menschen an geschichtlichen Themen gerecht zu werden und sie gleichsam vor rechtsextremen Manipulationen zu schützen, zeitgemäße Zugangs- und Vermittlungsmöglichkeiten. Diese sollten sich den Lebenswelten und Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen ausrichten. Zur demokratischen Erziehung und Herausbildung gesellschaftlicher Teilhabe ist nämlich auch eine historisch-politische Bildung fundamental. Denn nur wer gesellschaftliche Fragen, Probleme und Entwicklungen auch in ihrem historischen Zusammenhang begreift, kann hieraus reflektierte Orientierungsmaßstäbe für das eigene Handeln sowie eine kritische Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Herausforderungen entwickeln.
Hinzukommt, dass Kinder und Jugendliche sich durchaus selbstständig mit historischen Themen befassen. Die Studie „Die Gen Z und die NS-Geschichte: hohe Sensibilität und unheimliche Faszination“ im Auftrag des Arolsen Archivs zeigt etwa, dass junge Menschen zwischen 16 und 25 Jahren sich sehr für den historischen Nationalsozialismus interessieren. Dabei geht es ihnen auch darum, Anknüpfungspunkte zu ihnen wichtigen, aktuellen Phänomenen ihrer Lebenswelten wie Rassismus, Fake News oder Verschwörungsmythen zu entdecken und sich mit diesen auseinanderzusetzen. Gleichzeitig macht die Studie klar: Es ist wichtig und notwendig, eben diese lebensweltlichen Bezugspunkte in der Beschäftigung mit historischen Ereignissen und der Vermittlung von Informationen herzustellen. So wünschen sich 58 % der Studienteilnehmer:innen mehr leicht verständliche Informationen, die sie vor allem dort abholen, wo sie ohnehin tagtäglich unterwegs sind: in Sozialen Medien.
Neben passenden Angeboten spielt schließlich die Förderung der eigenen Reflexions- und Kritikfähigkeit sowie der Medienkompetenz unter Kindern und Jugendlichen eine wichtige Rolle. Dies etwa, wenn es darum geht, polarisierende Deutungen des Weltgeschehens mit klaren und überzeitlichen Freund-Feind-Bildern zu hinterfragen. Auch sollten sie sich der Grenzen von Online-Formaten wie Memes und Sharepics auf Social-Media-Diensten bewusst sein, wenn es um die Vermittlung und Diskussion komplexer Sachverhalte und Zusammenhänge geht.
Juli 2022